Erzählperspektive
Der Ausdruck Erzählperspektive wird beim Storytelling für unterschiedliche Positionen verwendet. Wir differenzieren hier drei Definitionen:
- Die übergeordnete Perspektive, aus der die Geschichte erzählt ist
- Die jeweilige Szenenansicht
- Die persönliche Sichtweise, der Blickwinkel des Autors
Übergeordnete Perspektive
Eine Geschichte kann, aber muss nicht aus der Sicht einer Hauptfigur geschildert werden, die Art und Weise der Reflektion kann vom Autor ganz nach Wunsch und Intention gestaltet werden.
Die gesamte Star-Wars-Saga ist aus der Perspektive zweier Nebenfiguren erzählt, die zwar nicht in jeder Szene auftauchen, aber grundsätzlich den Handlungsverlauf begleiten: die beiden Roboter C-3PO und R2-D2.
Diesen Kniff, Geschichten aus der Sicht der scheinbar „unwichtigsten“ Figuren erzählen zu lassen, hat George Lucas aus Akira Kurosawas Die verborgene Festung übernommen, einer Geschichte über Generäle und Prinzessinnen, erzählt aus der Warte zweier Gauner, die zwar in das Geschehen involviert sind, jedoch wenig von dem begreifen, was da vor sich geht – im Gegensatz zum Leser/Zuschauer.
Man stelle sich vor, wie die Geschichte von Hamlet sich aus der Sicht der Verlierer anfühlt: Rosencrantz und Guildenstern. Genau das hat Tom Stoppard in seinem Stück und in dem späteren Film Rosenkranz und Güldenstern [sind tot] gemacht. Seine originelle und ironische Umsetzung einer bekannten Story zeigt, wie entscheidend die Wahl der Perspektive für das Verständnis der Geschichte sein kann – für die Figuren selbst und auch für das Publikum. Die Sicht der Dinge kann die „Wahrheit“ einer Geschichte bestimmen, ein Thema, mit dem Akira Kurosawa bereits in seinem früheren Film Rashomon – Das Lustwäldchen experimentiert hatte.
Szenen-Einzelansicht
Im technischen Sinn bezieht sich die Erzählperspektive auf die Art und Weise, wie jede einzelne Szene bzw. jedes Ereignis dem Rezipienten präsentiert wird. Bei der Prosa ist diese (Detail-)Ansicht mit dem Erzählmodus verknüpft: Ich-Perspektive (1. Person), Erzähler (3. Person) usw. Beim Film ist die Perspektive davon abhängig, wie eine Szene gedreht und geschnitten wird.
Welches Medium auch immer, die Schilderung jedes Handlungsereignisses ist mit dem Verständnis einer einzelnen Figur bzw. deren Wahrnehmung von der jeweiligen Szene verknüpft. Selbst wenn eine Geschichte einen (allwissenden) Erzähler hat, erfährt der Leser/Zuschauer i. d. R. die Informationen aus der Sicht einer der Figuren, die an dem Ereignis teilhaben. Dies muss sich nicht unbedingt so explizit gestalten wie eine Kamerafahrt aus dem Blickwinkel einer der Figuren – wie z. B. in Das Schweigen der Lämmer, wenn man den Protagonisten durch das Nachtsichtgerät des Mörders beobachtet, wie er durch die Dunkelheit stolpert. Es kann auch einfach nur ein Blick aus dem Fenster sein und die Informationen über Umgebung und Geschehen, die der Rezipient durch die Augen einer Figur aufnimmt – und die wiederum andere Figuren zu dem Zeitpunkt nicht haben. Wie wir eine Dinner-Party erleben, die Beobachtung der einzelnen Leute, die Art der Konversation bei Tisch, wird jeweils über die Wahrnehmung eines der Teilnehmer gesteuert.
Die Erzählperspektive hat also ganz wesentlich damit zu tun, von wem die Geschichte bzw. die einzelne Szene handelt.
Die vielen Möglichkeiten der Sichtweise, aus der heraus eine Geschichte erzählt werden kann, zeigt deutlich, dass Handlungsereignisse nicht in einem Vakuum stattfinden, sondern immer einen Bezug haben. Was auch immer geschieht, hat einen emotionalen Effekt auf den Rezipienten, wenn dieser mit einem oder mehreren der Hauptfiguren mitfiebert. Die Wahrnehmung der Konversation bei der Dinner-Party kann eine vollkommen andere sein, je nachdem, aus welcher Perspektive sie erlebt wird: aus der des Vaters, dem der neue Freund seiner Tochter missfällt, oder aus der des nervösen Partners, welcher der Familie seiner Liebsten zum ersten Mal begegnet. Die Situation und somit die Wahrnehmung der beiden unterscheidet sich also grundlegend und somit erscheint die Schilderung der Ereignisse völlig divers – es entstehen zwei Varianten einer Geschichte.
Unser Verständnis wird also durch die emotionale Verbindung bestimmt. Wenn Ereignisse sehr neutral geschildert werden, ohne jegliche emotionale Verlinkung zu einem der Charaktere, haben sie womöglich wenig bis gar keinen Einfluss auf den Rezipienten. Wenn der Autor hier eine bestimmte Richtung vorgeben möchte, gestaltet er jede Szene explizit, dazu gehört eben auch die jeweilige Erzählperspektive.
Des Autors Attitüde oder Ansicht
Manche Leute verwenden den Begriff Erzählperspektive, wenn sie sich auf den jeweiligen Standpunkt beziehen, der im Subtext der Erzählung durchkommt. Ein bestimmter Tenor ist bereits im Genre angelegt: In einem Thriller ist typischerweise ein eher pessimistischer Grundton bestimmend, in einer Romanze oder Komödie trägt das positive Grundgefühl bzw. der Optimismus durch die Geschichte. Darüber hinaus kann die Grundeinstellung, bestimmte Vorstellungen oder Ideen des Autors durchschimmern – mehr oder minder explizit. Hier entscheidet sich für den Leser/Zuschauer, ob er sich auf den Tenor der Erzählung einlässt – aus Sympathie oder Neugierde.