Motive

Ein Motiv ist ein wiederholt auftretendes Element innerhalb eines Ganzen – im Storytelling wie in der Musik oder anderen Künsten.

Beispiele solch wiederkehrender Elemente sind ein Bild oder eine Form auf einem Bildteppich oder eine bestimmte Sequenz von Tönen in einer Symphonie. Die Platzierung dieser Elemente erzeugt ein Muster, dem ein Designprinzip zugrunde liegt. Es ist Teil des Handwerks eines Künstlers, dieses Muster zu bestimmen.

Wie man Motive in Geschichten einsetzt

Motive machen keine Handlung aus. Aber da sie Muster entstehen lassen, sind sie Teil der Struktur einer Geschichte – und sie fügen dieser eine Bedeutungsebene hinzu.

In Geschichten können Motive fast alles sein: Objekte, Tiere, Farben oder Bilder, spezifische Ansichten, sogar bestimmte Lichtspiele oder eine Wettererscheinung, auch Handlungen oder bestimmte kurze Abläufe (Bewegungen, Rede) etc. – oft auch Symbole, Allegorien oder Metaphern. Sie erscheinen als Sinnbilder, die oft erst in der Reihung ihre Bedeutung erfahren, und werden als Stilelemente eingesetzt, um die Handlung dramatisch zu durchsetzen.

Ein berühmtes Beispiel ist die Verwendung immer wiederkehrender Motive in den Werken Hitchcocks – der Großmeister der Dramaturgie hat hier quasi den Grundstein für das Bewusstsein gelegt: Vögel (seit jeher mystischer Bedeutungsträger), Spiegel und Treppen werden systematisch in seinen Werken eingesetzt und sind so eindrücklich, dass sie bis heute in der Filmgeschichte nachwirken und mit ihrem Symbolcharakter fest in den Köpfen der Rezipienten verankert sind.

Was ein Element als Motiv definiert, ist der systematische Einsatz in der Geschichte und nicht das Ding selbst. Die Verteilung des Elements – das Muster – verleiht diesem erst eine Bedeutung.
Wenn ein Motiv in der ersten Hälfte einer Geschichte vermehrt auftaucht und in der zweiten Hälfte kaum vorhanden ist, dann sollte der Autor einen Grund für diese ungleiche Verteilung haben. Der Leser/Zuschauer ist immer bemüht zu verstehen, was die Geschichte an jedem einzelnen Punkt zu vermitteln versucht, und sucht nach dem Sinn dahinter. Haltlos platzierte Motive, die rein dekorativen Charakter haben, sind daher unnütz.
Ein Vogel hat also erst eine Bedeutung, wenn sein Erscheinen ein Hinweis darstellt bzw. eine Relation zur Handlung hat. In Angel Heart sind Hühner als dramatisches Element eingebaut, tauchen sogar als internes Hindernis auf.

Dieses Bedürfnis nach irgendeiner Art der Sinnfälligkeit für jedes Element einer Geschichte oder für ein Gefühl der Ordnung innerhalb des Ganzen mag dem Leser/Zuschauer nicht bewusst sein, letztlich ist jedoch die Erfahrung der Geschichte befriedigender, wenn sich Gründe und Bedeutungen offenbaren.

Wie Motive funktionieren

Motive funktionieren am besten, wenn sie subtil eingesetzt werden und in Variationen auftreten.
Wenn eine Geschichte in einem Tod durch Ertrinken ihren Höhepunkt findet, kann Wasser ein Motiv sein. Der Autor kann es in einer Szene regnen lassen, eine andere Szene könnte auf einem Boot oder auf einer Brücke oder an einem Kai stattfinden, in einer weiteren könnte ein Wasserhahn oder Ausguss auftauchen usw. In dem Moment, wenn eine Figur den Tod durch Ertrinken erleidet, wird dieses Motiv des Wassers, das zuvor scheinbar zufällig auftrat, plötzlich zu einer enormen Kraft.
Der Effekt auf den Leser/das Publikum ist eher unterschwellig, doch in der Reihung ergibt sich eine Konsequenz.

In Shakespeares Macbeth ist das Blut und das Waschen der Hände ein wiederkehrendes Motiv. In Goethes Faust gibt es viele Motive, zum Beispiel die Farbe grau – so dass es am Ende eine besondere Wucht hat, wenn Gretchen zu ihm sagt, „Heinrich, mir graut’s vor dir!“. In Blade Runner sind es Augen – hier bezieht sich das Motiv auf eines der zentralen Themen des Films, die kartesische Idee, dass, obwohl wir die Welt um uns herum wahrnehmen können, wir nicht unbedingt die Realität sehen, wer wir wirklich sind.

Ein Motiv sollte also nicht zufällig gewählt sein, bestenfalls hat es eine übergeordnete Bedeutung, die über die Geschichte hinausweist. So ist bspw. das Wasser eine Metapher für das Element des Lebens. Das Motiv kann in Relation zum Thema der Geschichte stehen und hat so eine starke dramaturgische Bedeutung.

Verwandte Konzepte und Begriffe

Manchmal wird der Begriff Motiv in einem breiteren Sinne verwendet, nicht nur innerhalb eines Werkes, sondern über viele hinweg, die durch wiederkehrende Elemente verbunden sind. In diesem Sinne ist die böse Stiefmutter ein vertrautes Motiv in Märchen. Tatsächlich wird in der komparativen Erzählforschung eine Methode verwendet, um Motive und Handlungstypen zu klassifizieren, Aarne-Thompson-Index bzw. Aarne-Thompson-Uther (ATU) genannt. Motiv S31 ist die grausame Stiefmutter.

Manchmal wird der Ausdruck Topos verwendet, um einen ähnlichen intertextuellen Effekt zu benennen, obwohl sich der Begriff Topos ursprünglich auf eine Argumentationslinie bezieht, die zu einem Gemeinplatz geworden ist (wie „alle Menschen müssen sterben“).

Eine Trope ist der Gebrauch semantischer Figuren, bestimmter Ausdrücke in einer bestimmten Weise mit der Absicht, eine künstlerische oder rhetorische Wirkung zu schaffen. Tropen sind die linguistischen Pendants der Motive und erlangen durch Wiederholung und Variation ihre Kraft und Bedeutung.

Autorenfragen

Autor*innen fragen sich also in der Konzeptionsphase, wie ist das Finale des Werkes? Was passiert da genau? Welcher Schauplatz ist das? Welche Objekte haben damit zu tun? An welcher Tageszeit findet es statt? Sie suchen einen Aspekt, der sich aufgreifen lässt, und zu dem sie ein Muster an Hinweisen vor dem großen Ereignis einweben können. Siehe auch den englischen Begriff „foreshadowing“.

 

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