Schauplatz

Jedes Ereignis findet irgendwann und irgendwo statt.

Beides korrespondiert miteinander und hat dramaturgische Relevanz.
Wir unterscheiden zwischen dem übergeordneten Setting und spezifischen Locations in einer Geschichte.

STORY WORLD

Die sogenannte Story World, in der eine Geschichte angesiedelt bzw. eingebettet ist, beschreibt die Erzählwelt, also die gesamte Lebenswelt, in der sich die Figuren bewegen, das äußere Rahmengerüst. Diese ist immer spezifisch für die jeweilige Geschichte – was insbesondere in Fantasy-Geschichten eindeutig ablesbar ist, in denen das Setting sich von unserer „normalen“ Lebenswelt grundlegend unterscheidet (z. B. in Der Herr der Ringe, Die unendliche Geschichte).

Diese Erzählwelt kann sich aber auch nur auf einen Ausschnitt unserer bekannten Lebenswelt beschränken, z. B. auf einen geografisch abgesteckten Raum wie ein Dorf (Lönneberga), eine Stadt (Gotham City, Twin Peaks, Gangs of New York) oder auch nur auf ein Haus/Anwesen (Downton Abbey), eine Straße oder Distrikt (Lindenstraße, Notting Hill) oder einzelner Bereich (wie der Vergnügungspark in Achterbahn oder die Brücke in Die Liebenden von Pont-Neuf) oder ein ganzes Areal, einen Landstrich (Insel, Tal, Wüste) o. ä. In Herz der Finsternis, Apocalypse Now oder Beim Sterben ist jeder der Erste bspw. ist die Erzählwelt ein Fluss – und die Geschichten drehen sich um die Reise entlang des Flusses. Oder man erschafft sich einen beliebigen atmosphärischen Ort (Wald, Strand, Nachtclub, Büro, Krankenhaus). Insbesondere bei Serienformaten u/o bei Krimis konzentriert sich die Schauplatz-Wahl oft innerhalb eines eng gesteckten Radius’.

Die Erzählwelt ist aber mehr als eine rein räumliche Beschreibung der Umgebung. Sie hat meist eine bestimmte Konnotation und löst dementsprechende Assoziationen aus. In Wall Street oder The Big Short wird eine Welt beschrieben, in der sich alles um das Thema Geldmachen dreht.
Dieses Setting wird normalerweise im ersten Teil der Geschichte aufgesetzt und der Rest der Geschichte sollte sich hier einpassen.

SCHAUPLÄTZE

Innerhalb dieses Konzepts der „Gesamtwelt“ gibt es die spezifischen Schauplätze, an denen die einzelnen Szenen stattfinden, also all die Orte, wo die Charaktere etwas tun – Aktionen durchführen, die Teil der Erzählung werden. Oft genug ergibt sich die Schauplatzwahl logisch aus der Handlung der Geschichte. Wo welches Handlungsereignis situiert wird, kann durch den symbolischen Gehalt bestimmter Schauplätze motiviert sein.

Dramaturgische Relevanz

Die räumliche Dimension ist genauso relevant wie die zeitliche, hängt aber von ihr ab. Die Zeit bzw. die zeitliche Abfolge in einer Erzählung hat einen Einfluss darauf, wo die Handlung verortet wird und wie dieser Ort aussieht. Beide Faktoren gehen miteinander einher. Das hat wesentlich mit den Geschehnissen im Handlungsablauf zu tun.

In diesem Sinne können Schauplätze auch eingesetzt werden, um große Effekte dramatischer Ironie zu erzeugen, wenn der Autor den Leser/Zuschauer bspw. den geographischen Bewegungen der Figuren folgen lässt: Wenn sich zwei oder mehrere Figuren zu demselben Ort begeben, ohne dies voneinander zu wissen, kann der Leser/Zuschauer im Vorhinein erahnen, dass sie einander wahrscheinlich begegnen werden. Diese Koinzidenz ist relevant für die weitere Entwicklung der Geschichte und wird vom Autor bewusst als Stilmittel eingesetzt. Hier verquicken sich wiederum zeitliche und räumliche Dimension.


Schauplätze sind nicht allein Orte der Handlung bzw. Aufenthaltsorte der Figuren: Sie können ein Spiegelbild der inneren Situation sein, in der sich die jeweils an einer Szene beteiligten Figuren befinden. Sie können ferner eine metaphorische Bedeutungsebene abbilden: neues oder altes Leben, Weg oder Sackgasse, Bewegung oder Stillstand, Sicherheit oder Gefahr etc.

Schauplätze stehen für eine Situation oder einen Status, unterstreichen Stimmungen oder stehen in einem Spannungsverhältnis. Dementsprechend kann sich ein Schauplatz auch wandeln (vorher – nachher).


Bei der Wahl des Schauplatzes sollte daher die Frage beantwortet werden, warum die Handlung genau zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort stattfindet und inwiefern dieser dramaturgisch den Plot trägt und die Figuren unterstützt.

Örtlichkeiten – die Gestaltung

Bei der Szenerie einer Geschichte geht es nicht darum, ein Bild möglichst ausführlich als kunsthistorisch detaillierte Betrachtung zu liefern. Es geht darum, eine Ansicht und Bedeutungsebene zu transportieren, die beim Leser/Zuschauer sofort (womöglich anhand weniger Eckdaten) ein geschlossenes Bild von den Gegebenheiten und der Atmosphäre vermittelt.
Daher ist es angezeigt, den Leser/Zuschauer nicht mit Belanglosigkeiten zu langweilen. Die Beschreibungen müssen detailliert genug sein, um ein Bild entstehen zu lassen, sollten aber nicht als manieriert erscheinen – es sei denn, genau das ist beabsichtigt.

Bei bekannten Schauplätzen ist Vorsicht geboten: Hier ist darauf zu achten, dass eine individuelle Sicht der Gegebenheiten nicht der allgemeinen Konnotation entgegenläuft – ansonsten wird man als Autor Ohrfeigen der Rezensenten einstecken müssen.

Stimmungsbilder und Bedeutung

Sofern auf Details eingegangen wird (räumliche Elemente, Dekor, Ausblicke etc.), sollten diese handlungsrelevant sein bzw. immer dem Zweck dienen, ein bestimmtes Gefühl hervorzurufen.

Im gestalterischen Bereich bedient man sich hier des dramaturgischen Handgriffs der Szenografie, inszeniert also bewusst das Setting, welches eine adäquate Umgebung für das jeweilige Ereignis bietet und die intendierte Stimmung erzeugt. Dies gilt analog für die schriftstellerische Ausgestaltung. Man denke hier an Kafkas Das Schloss oder Der Process, wo durch das Setting das Thema der Geschichte unterstrichen wird.
Oder – ganz simpel – an die Sumpflandschaften in Der Herr der Ringe (Dead Marshes/Totensümpfe), Die unendliche Geschichte (Die Sümpfe der Traurigkeit) oder an das Moor in Der Hund von Baskerville. In diesen Beispielen ist die Landschaftsform der Bedeutungsträger und fungiert als Metapher: beim ersten Bsp. historisch aufgeladen durch bedeutende Ereignisse in der Prähistorie der Geschichte/Erzählwelt, beim zweiten rein emotional (die Sümpfe wirken sich auf den Lebensmut aus), beim dritten korrespondieren der Gruseleffekt, der eine natürliche Reaktion auf das Unheimliche und die Gefährlichkeit der Landschaftsformation darstellt, und erlangtes Wissen über die Sümpfe als Versteck Krimineller. Allein die Namensgebung bei J.R.R. Tolkien und M. Ende erzeugt Sprachbilder, die für sich stehen.

Sümpfe und Moore als Bedeutungsträger sind ein Beispiel für einen historisch-literarischen Topos, erscheinen als Unsicherheitsfaktor bereits seit der Geschichtsschreibung des Tacitus‘ und weisen zurück auf Kulte und Riten lange vor Christus. Opfer- und Bestattungsriten, Rechts- bzw. Hinrichtungssitten der Kelten und Germanen sowie Mythen und Sagen des Mittelalters bis in die Neuzeit haben ein Bild geformt, das fest im Bewusstsein verankert ist und daher nicht einmal groß ausgeführt werden muss, um Assoziationsketten loszulösen – es reicht die bloße Erwähnung (Nebelschwaden über Hochmoor), um den gewünschten Effekt zu erzielen.

Bestimmte Schauplätze werden also gerne in einem traditionell aufgeladenen Kontext gewählt und haben demnach per se eine gewisse Konnotation.

Assoziationen vs. Beschreibungen

Die Wahl des Schauplatzes korrespondiert immer auch mit sozialen Aspekten und Klischeebildern bzw. allgemeinen Erfahrungswerten.

Wenn man die Begriffe Pantryküche, Hexenküche oder Wohnküche liest, verbindet sich damit gewiss jeweils ein völlig unterschiedliches Bild – in dem Fall reicht ein einzelnes Wort, um das Setting zu umschreiben und den Kontext zu liefern.
Zimmer/Wohnung/Haus verbindet sich gemeinhin mit Privatsphäre, Kneipe oder Bar mit Trinken und Geselligkeit in der Öffentlichkeit – oder auch dem vertrauten Gespräch, der Tresen in einer Bar hat eine Zwitterfunktion: entweder als exponierte Position, um Aufmerksamkeit zu erlangen, oder – eben das Gegenteil – als Rückzugsort für Einzelgänger. Eine Rooftop-Bar in Manhattan ruft andere Bilder (von der Sozialisierung der Protagonisten) hervor als eine Kaschemme auf dem Kiez in Hamburg oder eine Dorfschenke irgendwo im Hinterland. Und ein Date in einem historischen Steinkreis hat sicher eine andere Bedeutung als eines in einem Café.

Wo diese Allgemeinbilder nicht greifen – bspw. für eine Szene in einer fantastischen Umgebung –muss man beschreibend werden und Vergleiche aus dem allg. Erfahrungsschatz der Rezipienten bemühen.
Dasselbe gilt für die Ausstattung, Bekleidung, Physiognomie von Figuren.

Um Unmittelbarkeit zu erzeugen und die abstrakte Ebene zu verlassen, können weitere Sinne angesprochen werden: Optik ist nicht alles – Tastsinn bzw. Haptik, Geruchs- und Geschmackssinn sowie akustische Wahrnehmung formen unser Bild von der Wirklichkeit. Auch psychologische Aspekte spielen hier mit hinein.

Inszenierung

Bei der Auswahl der Schauplätze haben Romanautoren wahrscheinlich die größte Freiheit. Sie müssen sich zunächst keine Gedanken machen, wie die Inszenierung erfolgt – wie bei Audiostücken, Film oder Theateraufführungen. In Film- und TV-Drehbüchern beginnt jede Szenenbeschreibung mit drei Informationen: Innen- oder Außenaufnahme, Tageszeit, spezifischer Ort. Dies hat organisatorische Vorteile für die verschiedenen Mitglieder der Filmcrew: Eine Innenaufnahme findet bspw. im Studio statt, während eine Außenaufnahme Dreharbeiten an externen Schauplätzen beinhalten kann, die Tageszeit vermittelt Information über Lichtverhältnisse. Die Menge der Schauplätze in einem Film bestimmt, wie viele Sets benötigt werden und somit wesentlich die Produktionskosten.

In Radiospielen können bspw. spezielle Soundeffekte bestimmte Orte ankündigen. Im Theater haben Schauplätze ebenfalls eine besondere Bedeutung: In dieser altehrwürdigen Darstellungsform von Geschichten ist es möglich, Schauplätze durch minimalen Einsatz von Mitteln, mit nur wenigen Requisiten nachzubilden bzw. zu schaffen, es braucht dazu nicht zwingend ein Bühnenbild. Dabei reduziert man – v. a. in modernen Inszenierungen – gerne auf die wesentlichen Bedeutungsträger, die ein Bild im Betrachter hervorrufen. Theoretisch könnte man das im Film auch so einsetzen (wie im Bsp. Dogville), aber die Filmsprache folgt i. d. R. darstellerischen Konventionen mit realistischen Ansprüchen.

In diesem Zusammenhang werden Motive wichtig – oft akzentuieren sie bestimmte Aspekte des jeweiligen Schauplatzes bzw. das Einbauen von Motiven führt zu einer Wechselwirkung. Motive sind wiederkehrende Sinnbilder, die als Stilelemente eingesetzt werden, um die Handlung dramatisch zu durchsetzen – und eben auch relevant für die Gestaltung und Bedeutung des Schauplatzes sein können.

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